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Geowissen

Rekord-Bohrkern aus dem Erdmantel

1.268 Meter langer Bohrkern aus dem Mittelatlantischen Rücken liefert unerwartete Einblicke

Bohrkern mit Mantelgestein
Dieser Bohrkern ist etwas ganz Besonderes. Denn er ist 1.268 Meter lang und enthält Gestein aus dem Erdmantel. © Johan Lissenberg

Rekord mit Tiefblick: Zum ersten Mal haben Geologen einen Bohrkern aus intaktem, in seiner Struktur erhaltenem Mantelgestein gewonnen – ein bedeutsamer Erfolg. Denn der 1.268 Meter lange Bohrkern aus dem Mittelatlantischen Rücken enthüllt erstmals Details zur Zusammensetzung und Struktur des oberen Erdmantels. Er liefert zudem einzigartige und teilweise überraschende Einblicke in die Prozesse, die unter den Geburtsstätten neuer Ozeankruste ablaufen, wie das Team in „Science“ berichtet.

Der obere Erdmantel bildet die Basis nahezu aller geologischen Prozesse auf unserem Planeten: Seine Strömungen lassen Kontinente wandern, speisen Vulkane und produzieren neue Erdkruste an den mittelozeanischen Rücken. Auch für die globalen Kreisläufe von Kohlenstoff, Wasser und anderen Stoffen ist der obere Mantel ausschlaggebend. Entsprechend wichtig ist es, Zusammensetzung und Struktur des oberen Erdmantels möglichst gut zu kennen.

mittelozeanischer Rücken
Am nächsten kommt der Erdmantel der Oberfläche an den mittelozeanischen Rücken. © 37ophiuchi/ CC-by-sa 4.0

Wie bekommt man Proben vom Erdmantel?

Das Problem jedoch: Der Erdmantel liegt tief unter unseren Füßen, selbst unter den Meeren mit ihrer dünneren ozeanische Erdkruste fängt der Erdmantel erst in fünf bis sieben Kilometer Tiefe an – zu weit für jeden Bohrer. Die meisten Proben von Mantelgestein stammen daher entweder aus Vulkangebieten, in denen Mantelmaterial bei Eruptionen zutage tritt, oder aber vom Meeresgrund in der Nähe der mittelozeanischen Rücken. In beiden Fällen liegt das Mantelgestein jedoch nur in einzelnen Brocken vor.

„Diesen Proben fehlt daher der Kontext, die räumliche Kontinuität und die Information über ihre ursprüngliche Orientierung“, erklären C. Johan Lissenberg von der Cardiff University in Wales und seine Kollegen. Zudem ist das Mantelmaterial in solchen Proben meist chemisch stark verändert: Durch Reaktionen mit Wasser wandeln sich die Mantelminerale in Serpentinite um. Wie sie ursprünglich aussahen, erschließt sich nur, wenn die Umwandlungsprozesse rekonstruiert werden können – doch dafür fehlt es an geeigneten Proben.

Atlantis-Massiv
Lage des Atlantis-Massivs und des Lost-City-Hydrothermalfelds am Mittelatlantischen Rücken. © NOAA/ CC-by 2.0

Rekordbohrung am Atlantis-Massiv

Das hat sich nun geändert: Zum ersten Mal haben Geologen einen ganzen Bohrkern mit intaktem, nahezu vollständig in seiner Struktur erhaltenem Mantelgestein gewonnen. Dem Team um Lissenberg gelang dies auf einer Expedition mit dem Bohrschiff „JOIDES Resolution“ zum Atlantis-Massiv am Mittelatlantischen Rücken. Dort liegen die als „Lost City“ bekannten hydrothermalen Schlote, außerdem haben Faltungen dort Formationen aus dem in geringer tiefe liegenden Erdmantel zutage gebracht.

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Diese unterseeischen Gesteinsformationen haben Lissenberg und seine Kollegen angebohrt, Nach einer ersten Testbohrung gelang es ihnen, einen 1.268 Meter langen Bohrkern aus diesem Mantelgestein zu gewinnen – ein Rekord. „Die Tiefe von U1601C übertrifft alle früheren Versuche, ozeanisches Mantelgesteine zu erbohren“, berichtet das Team. Noch wichtiger jedoch: Auf rund 71 Prozent der Bohrkernlänge waren die Mantelgesteine unversehrt und lagen in ihrer ursprünglichen Abfolge und Struktur vor – auch das ist bislang beispiellos.

Unerwartete Zusammensetzung

„Dass wir dieses Gestein bergen konnten, ist eine bedeutende Errungenschaft in der Geschichte der Geowissenschaften“, sagt Lissenberg. „Aber der wahre Wert dieser Mantel-Bohrkerne liegt darin, was sie uns über die Struktur und die Entwicklung unseres Planeten erzählen können.“ Erste Untersuchungen ergaben, dass der Bohrkern zum größten Teil aus serpentinisiertem Peridotit besteht – Peridotit ist das manteltypische Mineralgemisch aus Olivin, Pyroxen und Plagioklas.

Dünnschliff von Mantelgestein
Dieser Dünnschliff zeigt Minerale des Mantelgesteins aus dem Bohrkern. Die Mineralzusammensetzung liefert wertvolle Hinweise auf die in der Tiefe ablaufenden Prozesse.© Johan Lissenberg

Doch bei detaillierteren Analysen zeigte sich Unerwartetes: „In diesen Gesteinen ist viel weniger Pyroxen enthalten als gedacht“, berichtet Lissenberg. Dieses Magnesium- und Calcium-haltige Mineral macht normalerweise rund 40 Prozent des Peridotits aus. Im Bohrkern war vor allem das calciumhaltige Klinopyroxen auffallend reduziert, sein Gehalt lag deutlich unter zehn Prozent. Im Mantelgestein zeigten sich zudem feine Adern aus dem Mineral Dunit, das fast ausschließlich aus Olivin besteht. Insgesamt weicht der Mantel-Bohrkern damit mineralisch von anderen Mantelgesteinsproben ab.

Schmelzkanäle im Gestein

Aber warum? Lissenberg und sein Team vermuten, dass dies mit dem nahen mittelozeanischen Rücken und dem dort aufsteigenden Magma zusammenhängt. Sie führen die Dunit-Adern auf schmelzflüssiges Mantelmaterial zurück, das über feine Spalten und Risse im ansonsten festen Mantelgestein bis an die Untergrenze der ozeanischen Kruste aufsteigt. Durch Kontakt mit diesen heißen Schmelzen sinkt der Pyroxengehalt und die Mineralanteile verschieben sich in Richtung des Olivins.

„Dies ist wichtig, weil es uns verrät, wie das Mantelmaterial schmilzt und Vulkane speist, vor allem jene am Meeresgrund, die für den Hauptanteil des irdischen Vulkanismus verantwortlich sind“, sagt Lissenberg. „Indem wir nun Zugang zum Mantelgestein haben, können wir die Verbindung zwischen diesen Vulkanen und der Quelle ihres Magmas erforschen.“ Noch sind die Analysen des Bohrkerns nicht abgeschlossen, das Team erwartet daher noch weitere wertvolle Erkenntnisse und Einblicke.

Weitere Erkenntnisse werden folgen

„Unsere neue Tiefbohrung wird noch über Jahrzehnte eine definierende Typus-Sektion sein, an der wir so unterschiedliche Phänomene wie Schmelzprozesse im Erdmantel, die chemische Interaktion zwischen Gestein und Ozean, organische Geochemie und Mikrobiologie erforschen können“, sagt Koautor Andrew McCaig von der University of Leeds. Auch neue Einblicke in die Bedingungen zur der Zeit, als das erste Leben entstand, könnte der Bohrkern liefern. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adp1058)

Quelle: Science, Woods Hole Oceanographic Institution

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